Ich schaue in meinen Garten
"Ich habe nichts zu sagen, weil ich so viel zu
sagen habe."
Maria Elisabeth Miribung Moser
Theaterprojekt "Erinnern und Vergessen"
mit :
Maria Elisabeth Miribung Moser
Guido Moser
Daniel Oberegger
Roman Moser
Maria ist 1920 im Gadertal in den Dolomiten geboren und ist meine Mutter. Vor Jahren wollte sie über ihr Leben ein Buch schreiben. Wir haben es ein paar Mal versucht, es gab viele verschiedene
Aufzeichnungen, aber es wurde kein Buch daraus. Meine Mutter hatte ein sehr bewegtes Leben. Die älteste von vielen Kindern, relativ früh musste sie die Mutterrolle übernehmen, da ihre Mutter
gestorben ist. Sie war die Beste in der Schule, nach ihren Erzählungen, wollte Ärztin werden, aber das Geld reichte nicht. Sie wurde Köchin, dafür wurde ihre Tochter Ärztin. Ihre schönsten
Kindheitserinnerungen sind zu Mussolini, da bekam man Essen und wurde auch als Kind armer Leute geschätzt. Deshalb war für sie Mussolini einer der besten Menschen. Sie ist ein Jahn nach dier
Theaterproduktion gestorben.
In ihrer Jugend, zwischen 18 und 26 Jahren, lebte sie als Klosterfrau im Kloster, sah eine Möglichkeit, in die Mission zu gehen, was ihr nicht gelang. In dieser Zeit liegt viel Schweigen, einige
ganz wichtige, heimliche und nahe Bekanntschaften mit ranghohen Nazis. Später heiratete sie, bekam 5 Kinder und kämpfte ein Leben lang nicht nur für die Familie sondern auch für die Anliegen der
in ihren Augen Schwächeren und Ausgebeuteten.
Nach dem Tod ihres Mannes, mit 80 Jahren, lebte sie noch eine große Liebe.
Als diese auch starb, zog sie sich immer mehr aus dem engagierten Leben zurück, fing an, ungeheuer viel zu vergessen und brauchte aus diesem Grund Pflege rund um die Uhr.
Einer ihrer Sätze: "heute habe ich nichts mehr zu sagen, weil ich früher zu viel zu sagen gehabt hätte."
Unsere Arbeitsweise: Ausgegangen wurde immer von der Person, nicht von irgendeiner Diagnose oder Idee, die Beziehung war das Wichtigste.
Experten, sei es Psychologen, Pädagogen, Betreuungspersonal usw. begegnen Menschen, die im gesellschaftlichen Bezugssystem nicht voll autonom und selbständig stehen, wohlwollend mit der Frage: "Was soll für diese Person getan werden? Was braucht sie? Was gefährdet sie?" Selten ist die Frage: "Wer ist dieser Mensch? Welche Mitteilungen hat er zu machen? Was hat er zu sagen?"
Wenn wir auf die Bühne gingen, war die Herausforderung: Schaffen wir es, in einer gleichwertigen Beziehung ohne Expertentum uns gegenseitig zu erleben und zu überraschen? Nicht die Soll- Frage, sondern: Wer sind wir? war die treibende Kraft. In dieser Form von Theater war zuerst einmal Verwirrung, um Raum für neue Sichtweisen zu bekommen, wichtiger, als die herkömmliche Absicherung und Vernunft. Wir begegneten uns mehr im Rätsel Mensch- sein als in der Problematik des Krankenbildes, das immer nur eine Teilaussage war. Dieses Theater hatte keinen Wissensvermittlungsauftrag zu irgend einer Demenz, das machten die Experten besser, sondern es war ein Unendlichkeitsspiel, ein Phänomen, das immer weiter spielte. Das Spiel war das Spiel des Lebens und entwickelte sich Augenblick für Augenblick.
Maria bestimmte letztlich Form und Inhalt von dem, was auf der Bühne geschah. In einer Mutter- Sohn- Beziehung war ich gezwungen, auf der Bühne von Mal zu Mal immer Neues von ihr dazuzulernen.
Vielleicht, wenn wir nicht auf der Bühne gewesen wären, wären bestimmte Sachen überhaupt nie passiert.
Der Zuschauer bekam keine Geschichte präsentiert, sondern Zustände, die sich entwickelten, Fragmente. Die viele kleinen Geschichten erklärten sich nicht über große Dialoge sondern gingen meistens
ungewohnte Wege. Die Räume füllten sich in der Leere. Im immer Weniger werden verdichtete sich dieser Theaterabend.
Roman Moser, Bühnenbildner:
Ich weiß nicht so recht, wie ich Ihrer Aufforderung nach Zeichnungen zum Bühnenbild - oder gar einer Zeichnung des Bühnenbildes gerecht werden kann.
Es ist meine Art, Objekte zu zeichnen, bevor sie sich machen - und es ist meine Art, Objekte nicht zu zeichnen, bevor sie sich machen. Es scheint mir, dass es auf das Selbe hinausläuft, die Dinge
teilen sich - so oder so - den gewünschten Umständen entsprechend mit.
In diesem Stück liegt kein fertiger Text vor, in diesem Stück ist scheinbar alles immer in Bewegung, alle Dinge wachsen und verwelken schnell - dem genau möchte ich Rechnung tragen. Die Bilder
der Bühne entwickeln sich zur Person mit Demenz und zur Person, die diese Person sozusagen bedient. Ich könnte meinen, dass hier die statische Kraft der Demenz mit den bewegten Impulsen aus der
Erinnerung der Demenz aufeinandertreffen - daraus entstehen die Bilder zur Bühne, der so genannte Schauspieler ist der Vermittler zwischen diesen Bildern.
Diese Bilder werden immer klarer - sie sind dem Schauspieler absolut vertraut, zugänglich und präzise vorgegeben. Der dementen Person auf der Bühne sind sie egal - es sind die abstrakten
Bruchstücke aus der Erinnerung zu ihrem Leben und vor allem aus der neugeformten "Restwelt" dieser Erinnerungen.
Diese Bilder formen sich immer neu, sie müssen immer aktuell sein, sie sind wohl immer der gelebte Augenblick dieses Zustandes einer Person.
Alles sollte einfach bleiben, so einfach als möglich. Der Zuschauer sollte erkennen und nicht erkennen. Vertrautes zeigt sich der gewohnten Vorstellung in ver-rückten Zusammenhängen sozusagen
zusammenhangslos.
Die Beleuchtung ist dem Bild nicht eingeordnet, nicht untergeordnet. Ein mechanisch installierter Narr drückt die Dimmer und Hebel. Es sind Aufschreie, dann wieder stille Unklarheit, alles geht
seinen gewohnten, dementen Gang. Der Schauspieler kennt sich genau aus, der Hauptdarsteller ist wieder wer er ist - ein Mensch auf einer Bühne, weil auch die Bühne ein Teil des Lebens des
Menschen ist, hier im Zugeständnis zum Publikum, dort im Zugeständnis zu den Gewohnheiten des Überlebens.
Roman Moser.
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Bemerkungen zur Bühnenmusik von Daniel Oberegger
Guidos Mutter ist bei zwei Wildbächen aufgewachsen und hat lange in Stilfser Brücke gewohnt, wo auch ständig das Rauschen des Baches zu hören ist.
Zusätzlich zum Bachrauschen waren während der Probenzeit in Stilfser Brücke immer wieder vorbeirauschende Autos und Motorräder zu hören, eine alltägliche Präsenz der modernen Zivilisation.
Maria Moser hatte in ihrem Leben mit Musik nur zwei konkrete Berührungspunkte: Als sie zur Schule ging, wurden italienische Lieder aus der Faschistenzeit gesungen, und in der Kirche erfüllte Orgelmusik eine liturgische Funktion.
Diese vier akustischen Elemente: das Bachrauschen, der Straßenverkehr, Ziehharmonikabegleitung zu den Liedern und kirchliche, also im wesentlichen barocke und romantische Musik, vorwiegend mit Orgelklang, bildeten mein Repertorium, um das Geschehen auf der Bühne musikalisch zu begleiten.
Ich mischte meine Notenblätter vor jeder Probe oder Aufführung neu durcheinander, denn nur wenige Musikeinspielungen, wie einmal ein lauter Orgelchoral oder die Begleitung zu den Liedern, die Guido sang, waren vom Ablauf des Stücks festgelegt. Für die ganze übrige Zeit des Stücks hielt ich mir alle Möglichkeiten offen, Pausen zu lassen, mal schnell oder langsam, leiser oder lauter, begleitend oder irritierend dazu- und dazwischenzuspielen, denn wenn während des Stücks auch oft dasselbe gesagt wurde, wie bei vorhergehenden Aufführungen, so konnte die Stimmung doch eine völlig verschiedene sein, und was und ob Guidos Mutter etwas sagte, blieb immer eine nicht vorhersehbare Überraschung.
Ich hatte immer genug Noten dabei, dass ich viele Stücke einfach weiterblättern konnte, wenn sie mir im Moment nicht passend schienen, und dass ich von einigen auch nur wenige Takte mitten heraus spielen konnte - ich begann nie mit den ersten Noten eines Stücks und spielte keines zu Ende. Während mein allgemeiner musikalischer Ablauf immer improvisiert war, war es die Musik selbst nie, denn ich spielte immer nach Noten.
Guidos Mutter reagierte nicht auf die Musik. Zu Beginn der Probenzeit fragte sie Guido oft, wer ich sei und was ich hier mache, und als ich ihr antwortete, ich sei der Theatermusiker, interessierte sie sich nicht mehr weiter. Es schien sie auch nicht zu stören oder zu erschrecken, wenn ich plötzlich mit voll aufgedrehter Lautstärke den Kirchenchoral spielte. Mir schien, dies gehörte für sie – wie auch die aufgebauten Scheinwerfer und einige Verrücktheiten von Guidos Spiel - zum Theater dazu und brauchte nicht weiter analysiert zu werden – man machte das einfach so.
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Fast für die ganze Dauer des Stücks ließ ich im Hintergrund eine CD mit aufgenommenen Straßengeräuschen der Stilfser Joch- Strasse laufen, neben der das Stück während der Proben entstanden ist und die bei diesen Proben immer zu hören war. Nur in seltenen Momenten nahm ich diese Straßengeräusche weg. Dann entstand eine Stille, die man deutlich und bewusst hören konnte. Wenn ich danach wieder die Strassengeräusche aufblendete, schien mir alles, was auf der Bühne gesagt wurde, weniger abstrahiert wahrgenommen und dadurch realistischer und konkreter zu werden.
„Die Musik geht gut so.“
Maria Elisabeth Miribung Moser